Als erstes deutsches Theater hat das Staatstheater Augsburg eine Stelle für Digitale Entwicklung geschaffen. Seitdem führt Tina Lorenz die Zuschauer:innen in den virtuellen Raum. Für XPLR: MEDIA interviewte unsere Autorin Anna Karolina Stock die Digitalisierungsbeauftragte. Die Fotoproduktion mit Fotograf Julian Baumann fand in einer Fabrikhalle in Augsburg statt, in der auch VR-Theatertücke des Staatstheater aufgenommen wurden. Ein Gespräch über neue Konzepte und Möglichkeiten des digitalen Theaters.

Was ist das Besondere an einem Theatererlebnis mit VR-Brille?

Tina Lorenz: Das Gefühl von Präsenz. Im Gegensatz zu einem Stream, der lediglich Ausschnitte eines Bühnenabends zeigt, taucht man mit VR-Brille komplett in eine andere Welt ein. Die Zuschauer:innen haben den Eindruck, Teil der Szene zu sein. Sie können den Schauspielerinnen und Schauspielern auf Schritt und Tritt folgen oder die Perspektiven wechseln. Ein immersives Theaterererlebnis ist unglaublich theaternah, und es verlangt Konzentration.

  • Tina Lorenz mit VR-Brille
  • Tina Lorenz sitzt auf Treppe
  • Tina Lorenz im Lichtkegel vor Wand
  • Tina Lorenz mit VR-Brille vor heller Wand
    Fotos: Julian Baumann

Wie unterscheidet sich die Produktion eines VR-Erlebnisses von einer normalen Filmaufnahme?

Tina Lorenz: Nehmen wir das Beispiel einer Orchersteraufnahme: Zuschauer:innen können mit der VR-Brille später zwischen verschiedenen Positionen wählen, sich also das zweite Horn genauer anschauen oder die erste Geige. Dafür wird das Orchester mit vier 360-Grad-Kameras gefilmt, und zwar gleichzeitig. Alle Musiker:innen müssen während der gesamten Aufname am Platz sein, auch wenn bestimmte Stimmgruppen nicht an der Reihe sind. Normalerweise würden diese das Set verlassen, um nicht zu rascheln und den Klang zu verfälschen. Jede 360-Grad-Kamera ist eine Kugel mit vielen Linsen, deren Bilder am Ende richtig zusammengesetzt werden müssen. Es kann nicht so viel nachbearbeitet und geschnitten werden, ohne dass es einen unschönen 'Cut' im Bild gibt. Bei Fehlern muss also der gesamte Take nochmal aufgenommen werden.

Gibt es noch andere Digitalformate, die gut funktionieren?

Tina Lorenz: Ja, unser Twitch-Kanal, er hat mittlerweile 670 Follower:innen. Aufgrund hoher Inzidenzwerte kam es in Augsburg bereits Ende Oktober 2020 zum Shutdown. Genau da sollte die Premiere des Tanztheaters „Winterreise“ stattfinden. Wir mussten also umdisponieren und landeten bei Twitch. Ähnlich wie Gamer, die ihre Live-Spiele nebenbei kommentieren, haben wir während des Livestreams der "Winterreise" eine Art Watch-Party veranstaltet. Die Dramaturgin und ich haben Fragen aus dem Chat aufgegriffen und mit der Community diskutiert. Kommentare und Feedback sind hier sehr direkt und ungefiltert. Das Coole an Twitch ist, dass alles auf den Live-Moment und das gemeinschaftliche Erlebnis ausgelegt ist.

"Für die Künstler:innen bedeutet VR-Theater eine bisher unbekannte Art des Schauspielens. Sie sind bei der 360-Grad-Erfahrung mit der Kamera allein, kein:e Regisseur:in macht im Hintergrund Anmerkungen."

Tina Lorenz mit rotem Schatten im Gesicht

Erreichen Sie über Twitch eine andere Art von Publikum?

Tina Lorenz: Es ist tatsächlich bunt gemischt. Manche Twitch-User:innen stoßen zufällig dazu. Aber es gibt auch viele Theater-Abonnentinnen und Abonnenten, die hier ihre Lieblingsschauspieler:innen sehen wollen. Auf Twitch ist aktive Teilnahme gefragt: Man kann sich virtuell mit anderen austauschen und ein ganz neues Theatererlebnis teilen.

Kritiker:innen befürchten, die Digitalisierung führe zum Niedergang der Theaterkultur. Wie sehen Sie das?

Tina Lorenz: Technik und Theater waren schon immer miteinander verwoben. Bereits in der Antike tauchte der "Deus ex Machina" (auf Deutsch: Gott aus der Maschine) nur mithilfe eines Seilzugs auf. Heute ist fast nichts mehr analog: Licht, Musik, Bühnenbild werden digital per Tablet gesteuert, die Zuschauer:innen bekommen es nur nicht mit. Gerade Theaterstücke mit Live-Kamera oder Projection Mapping sind ohne moderne Technologien nicht möglich. Haben diese dazu geführt, dass das Theater abgeschafft wurde oder an Qualität einbüßte? Nein. Es ist ein starkes Medium.

Das vollständige Interview lesen Sie online auf XPLR: MEDIA.